Leseproben für kleine Schmökerratten
- Kinderbücher von Indie-Autoren

Dienstag, 16. August 2016

Mia-Maries Herzenswunsch

Die Anthologie „Mia-Maries Herzenswunsch“ enthält zehn traurige und nachdenklich machende Geschichten über Kinder. Das Kurzgeschichten-Projekt wurde für die an Krebs erkrankte Mia-Marie ins Leben gerufen, die einen inoperablen Gehirntumor hat. Ein Teil des Erlöses geht direkt an die 8-Jährige, damit ihr Herzenswunsch, so viele schöne Erlebnisse und damit Erinnerungen wie möglich zu sammeln, umgesetzt werden kann.

Erhältlich bei Amazon



Ein Buch mit Geschichten für Kinder und Geschichten für Erwachsene.


Finnjas Wünschehund

von Annette Paul

„Holt eure Stifte heraus. Wir schreiben einen Rechentest.“ Frau Rehder, Finnjas neue Klassenlehrerin, verteilte schnell einen Aufgabenzettel.
Finnja holte ihre Federtasche aus dem Ranzen. Warum musste sie gleich am ersten Tag in der neuen Schule eine Arbeit schreiben?
Zuerst kamen einfache Malaufgaben. Die rechnete sie schnell aus. Dann folgte eine Textaufgabe. Sie las sie zweimal durch, ohne sie zu verstehen. Wie sollte sie die bloß lösen?
Sie schaute auf. Melanie neben ihr schrieb und rechnete ohne Pause. Der Junge mit dem Strubbelkopf vor ihr kaute auf seinem Stift herum. Er schien ähnliche Probleme wie sie zu haben.
Eine blöde Schule! Warum konnte sie nicht auf ihre alte gehen? Nur weil Papa versetzt worden war. Hier kannte sie niemanden und gleich in der zweiten Stunde musste sie eine Mathearbeit schreiben. Sie beugte sich wieder über ihr Heft und versuchte, wenigstens die letzten drei Aufgaben zu lösen. Als es klingelte, sammelte Frau Rehder die Hefte ein.
„Kommst du mit?“ Melanie sah sie fragend an.
Finnja nickte und holte schnell ihr Brot und ihre Trinkflasche aus dem Ranzen.
„In der nächsten Stunde haben wir Deutsch, du kannst ja nachher den Stundenplan von mir abschreiben.“ Melanie führte Finnja über den großen Schulhof. In der hinteren Ecke befand sich ein Spielplatz mit Sandkasten, Balancierbalken und einem Klettergerüst.
Die neuen Klassenkameraden näherten sich Finnja und löcherten sie mit Fragen: „Wo kommst du her?“ – „Wie heißt du?“ – „Seit wann wohnst du hier?“ Finnja beantwortete die Fragen, so gut sie konnte. Sie hatte das Gefühl von hundert fremden Kindern umringt zu sein. Ständig schaute sie in ein neues Gesicht.
„Lass uns balancieren“, schlug ein Mädchen vor und einige Kinder lösten sich aus dem Kreis. Jetzt konnte Finnja den Jungen mit dem Stubbelhaar in einer Ecke auf einem Stein sitzen sehen. Er war da ganz allein und machte ein trauriges Gesicht. Sicher hatte er die Arbeit verpatzt.
Als der Balancierbalken frei wurde, setzte er sich darauf. Gleich darauf erschienen zwei kräftige Kinder und riefen ihm etwas zu. Dann lachten sie laut.
„Wer ist das?“, fragte Finnja Melanie.
„Oh, Fabian, der ist komisch, den mag keiner. Das andere sind Tim und Sven.“
Finnja folgte Melanie auf das Klettergerüst. Es bestand aus einem Mast, an dem ein Gitter aus Seilen befestigt war. Geschickt kletterte sie mit Melanie bis ganz nach oben.
„Gefällt es dir hier?“, fragte Melanie.
„Der Schulhof ist toll. Mehr kenne ich noch gar nicht. Wir sind erst vorgestern eingezogen. Gestern haben wir eingekauft. Anschließend haben wir das Wichtigste ausgepackt. Wir mussten die Kleidung und die Schulsachen suchen. In meinem Zimmer stehen die Möbel, aber mein Spielzeug ist in den Kartons.“
„Wir können zusammen zur Schule gehen, die Eichenstraße ist ganz in unserer Nähe“, schlug Melanie vor.
„Das ist fein“, freute sich Finnja. „Dann muss ich nicht allein gehen.“
In der nächsten Stunde hatten sie Deutsch und sie lasen eine Abenteuergeschichte. Als Fabian dran kam, stotterte er herum, als wäre er in der ersten Klasse. Hinten lachte jemand. Finnja drehte sich um. Tim und Sven schnitten Grimassen und feixten.
„Das nächste Mal übst du besser“, sagte Frau Rehder streng. Sie nahm Melanie dran, die den Text fließend und richtig betont vorlas.
Fabian senkte den Kopf, seine Ohren wurden ganz rot.
Nach der letzten Stunde traf Finnja ihn an Schultor. „Ich kann auch nicht gut lesen“, sagte sie, um ihn zu trösten.

Vor der Schule wartete Mutter und ihre Schwester Marie. Marie ging in die erste Klasse und hatte nur vier Stunden gehabt. Fröhlich hüpfte sie neben ihnen her. Sie durfte gleich spielen, da sie ihre Hausaufgaben schon erledigt hatte.
„Wie gefällt dir deine neue Klasse?“, fragte Mutter.
 „Ich weiß nicht.“ Finnja schüttelte den Kopf.
„Haben die dich geärgert?“, fragte Marie. „Meine Klassenkameraden sind nett. Ein Mädchen hatte Gummibärchen mit und hat mir welche abgegeben.“
„Nein, mich nicht, aber die ärgern einen Jungen. Sie lassen ihn auch nicht mitspielen.“
„Und wie waren sie zu dir?“, fragte Mutter.
„Nett, sie wollten alles Mögliche von mir wissen. Ich sitze neben der Klassenbesten. Die soll mir helfen, wenn ich irgendetwas noch nicht kann. Melanie ist nett. Sie wohnt in unserer Nähe. Morgen wollen wir zusammen zur Schule gehen.“
„Wie ist Melanie zu dem Jungen?“, fragte Marie.
„Sie hat nicht mitgemacht, aber sie hat auch nicht mit ihm gesprochen.“ Finnja schob ihre Hand in die Hand ihrer Mutter.
„Du kannst ihn zu uns einladen. Ihr habt noch keine Spielkameraden, da ist es doch nett, wenn ihr miteinander spielt.“

Gleich am nächsten Tag fragte Finnja in der Pause Fabian: „Hast du Lust, nachher mit mir zu spielen? Wenn du willst, können wir auch die Hausaufgaben zusammen machen. Vorher darf ich nämlich nicht spielen.“
Fabian versprach, sofort nach dem Essen zu kommen.
„Fabian ist blöd, mit dem sprechen wir nicht“, meinte Sina, als sich Finnja auf ihren Platz setzte.
„Und warum?“, fragte Finnja.
„Wir mögen ihn nicht“, erklärte Sina.

Finnja aß noch, als es an der Tür klingelte und Fabian davor stand.
„Möchtest du auch etwas essen?“, fragte Mutter. Sie stellte einen weiteren Teller hin. Fabian schlug kräftig zu.
„Hast du noch gar nichts gegessen?“, fragte Marie verwundert.
„Doch, ich habe mir ein Brot gemacht. Meine Mutter arbeitet, deshalb essen wir abends warm.“
Nachdem sie den Tisch abgedeckt hatten, machten sie Hausaufgaben. Sie mussten ihren Rechentest berichtigen. Finnja war über ihre Vier sehr unglücklich.
„Solche Textaufgaben hast du noch nie gerechnet, dafür ist die Arbeit in Ordnung“, tröstete Mutter sie.
Sie half ihnen bei einigen Aufgaben. Bevor sie spielen durften, fragte Mutter außerdem das Einmaleins ab und ließ sie vorlesen. Als Fabian den Text zum dritten Mal las, sprach er klar und flüssig.
„Warum übst du nicht?“, fragte Finnja.
Fabian schaute aus dem Fenster. „Es macht keinen Spaß.“
„Aber es ist blöd, wenn man es in der Schule nicht kann.“ Finnja packte ihre Schulsachen in den Ranzen.
Fabian nickte. „Meine Mutter ist abends immer zu müde, um mit mir zu üben.“
„Kann dein Vater nicht helfen?“
„Der wohnt woanders.“
„Dann eben am Wochenende. Am besten lernen wir beiden miteinander.“, schlug Finnja vor.
(...)

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